Gesund bleiben in einer zunehmend psychotischen Welt – Teil 3
Viele messbaren Parameter über den Zustand westlicher
Gesellschaften zeigen seit Jahren einen negativen Trend. Der Wohlstand für
viele Menschen schwindet, während wenige Reiche immer reicher werden, der
Bildungsstand nimmt ab, die psychische Gesundheit verschlechtert sich, die
Suizid-Rate steigt noch steiler an als bisher und die innergesellschaftliche
Fähigkeit, schwierige Themen zu besprechen und zu lösen, hat in den letzten
Jahren starken Schaden genommen.
Welche Möglichkeiten gibt es, dennoch gesund und kräftig
zu bleiben?
Krank machende Strukturen loslassen und sich ausrichten
Diese Strukturen zu verstehen und zu durchschauen hilft, ihnen ausweichen zu können. Sinnvoll ist deshalb eine sorgfältige Auswahl der konsumierten Informationen, weil eine Überflutung des Hirns zu den beschriebenen neurodegenerativen Vorgängen führt. Um Einseitigkeit zu vermeiden, braucht es diverse Informationskanäle, welche verschiedene Standpunkte vermitteln, damit ein differenziertes Bild möglich ist.
Da psychotische Umgebungen potenziell auch gesunde Menschen in einen Abgrund stürzen können, braucht es vor allem eine bewusste Ausrichtung auf heilsame Strukturen. Der vietnamesische Meditationsmeister Thích Nhất Hạnh vergleicht dies mit der Pflege eines Gartens: Vordringlich kümmern wir uns um die Kräftigung der Pflanzen, welche wir in unserem Garten zur Blüte bringen wollen. Wenn nötig entfernen wir hinderliches Unkraut.
Gesunder Umgang mit Medien
Der heute bei vielen Menschen gewohnheitsmässig stattfindende Überkonsum digitaler Medien macht krank. Einerseits raubt diese Gewohnheit unsere Lebenszeit, wie Michael Ende dies in seinem Roman Momo ausgezeichnet dargestellt hat.
Handys sind ein grausames Experiment an Kindern
Penélope Cruz
Andererseits werden solche Menschen zu gelähmten Konsumenten, versunken in einem digitalen Wohlfühlkoma,
welche abgefüllt werden mit Informationen derjenigen, welche die Nachrichten senden. Viele davon sind
irrelevant, einige sogar krank machend und wenige nötig. Die Influencer
bestimmen dadurch die Sicht der Konsumenten und daraus folgend die
Handlungsweise der Medien-Süchtigen. Morpheus, ein Protagonist aus dem Film Matrix 1, spricht in diesem
Zusammenhang von Batterien.
Wie oben beschrieben kann dieses Verhalten zur Zerstörung der gesunden Funktion des
Gehirns führen, welche uns lähmt und daran hindert, ein gelingendes Leben zu führen
und dadurch aktiv und selbstbestimmt zur Gesellschaft beizutragen.
Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt geht in seinem Buch Generation Angst davon aus, dass das Gehirn
junger Menschen durch das "grösste Experiment an der Menschheit" neu verdrahtet wird. Dies geschieht dadurch,
dass die IT-Konzerne "einen Feuerwehrschlauch süchtig machender Inhalte entworfen haben, welche durch die
Augen und Ohren von Kindern eindringt. Durch das Ersetzen des realen Spielens und der persönlichen
Sozialisierung haben diese Konzerne die Kindheit neu verdrahtet und die menschliche Entwicklung in einem kaum
vorstellbaren Mass verändert."
Weitergehende Informationen dazu in meinem Artikel Dissoziation – abgeschnitten von sich und der
Welt ➚.
2007 kam das erste Smartphone auf den Markt, also noch keine 20 Jahre her. Unser
Hirn ist evolutionär nicht im Geringsten in der Lage, in so kurzer Zeit
mit damit einhergehenden Veränderungen unseres Alltags umzugehen und sich
entsprechend anzupassen. Multiple Dysfunktionalität ist das beobachtbare Resultat.
Eine digitale Entgiftung, gleichbedeutend mit einer massiven Reduktion und einer
bewussten Auswahl – und dies auf Dauer –, ist der einzig mögliche Weg aus
dieser Falle, um vom passiven Passagier auf dem eigenen Schiff wieder zum bestimmenden
Kapitän zu werden. Auf diese Weise erhalten wir die wesentlichen Informationen, welche unser Leben sinnvoll
unterstützen.
In der gewonnen Zeit ist einerseits Raum für konkrete Handlung aber auch für entspannte Ruhe. Eine
ausgerichtete Klarheit und Zufriedenheit ersetzt die bislang vorhandene unbefriedigende und unproduktive
Überaktivität des Geistes.
Es wird niemand kommen und es für uns richten. Die Verantwortung liegt
ausschliesslich bei jedem einzelnen.
Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben.
Oraibi Arizona
Realer Kontakt als zentrale Verhaltensweise, um gesund zu bleiben
Drehen wir also die Verhältnisse wieder um, indem wir uns unserer wunderbaren menschlichen Eigenschaften wieder bewusst werden und bleiben. Unsere Seele, unser Gewissen, unsere Herzenswärme und unser klares Denken sind das Mass der Dinge, welche durch keine Maschinen-Intelligenz zu ersetzen sind. Maschinen können uns allenfalls unterstützen und dienen, jedoch nur in ausgewählten Bereichen.
Die Energie ist dort, wo unsere Aufmerksamkeit ist.
Grundlegendes energetisches Gesetz
Sigmund Freud schrieb 1930 in seinem Text Das Unbehagen in der Kultur, dass der Mensch seit langem versuche seine Idealvorstellung von Allmacht und Allwissenheit den Göttern zuzuschreiben, denen er nacheifere. So sei er zu einer Art "Prothesengott" geworden, wenn er alle seine "Hilfsorgane" anlege. Freud stellte fest, "dass der heutige Mensch sich in seiner Gottähnlichkeit nicht glücklich fühlt."
Aus der Natur stammend ist es Menschen auf vielfältige Art möglich, realen Kontakt
zu sich und ihrer Mitwelt aufzunehmen. Wer fähig ist, wahrzunehmen, was an
Gefühlen bei sich und anderen da ist, kann diese Vorgänge einordnen und
angemessen agieren oder reagieren. Ohne diese Fähigkeit kann kein Lebewesen
überleben. Diese Fähigkeit gilt es zu trainieren und ins Zentrum unseres Lebens
zu stellen.
Kontakt ist kein flüchtiges Wischen, Klicken oder Scrollen, kein Einteilen der Welt in OK oder Abbrechen –
äquivalent zu gut oder schlecht, gierig nach dem nächsten Input. Kontakt benötigt die Musse sich einzulassen,
insbesondere auf der Ebene des Herzens, wahrzunehmen, womit man in Beziehung ist, sich überraschen zu lassen
von sich selbst und vom Gegenüber. Zu diesem Prozess gehört es auch, Geduld zu haben, bis sich etwas eröffnen
kann, sich einzulassen auf Anteile, die ich reflexartig nicht wählen würde, mich mit ihnen
auseinanderzusetzen, sie
zumindest anzuerkennen, auch wenn meine Sichtweise eine andere ist. Dadurch entsteht ein differenziertes Bild,
aus dem durch gelingende Kommunikation allenfalls etwas Drittes, Neues entstehen kann. Alle Beteiligten werden
dadurch ganzheitlich genährt und Wachstum wird möglich.
Etymologisch stammt Kontakt von den lateinischen Verben contingere und tangere ab: berühren,
verbinden. Die Vorsilbe con unterstreicht die Tatsache, dass wirklicher Kontakt
eine existentielle Gleichrangigkeit der Beteiligten voraussetzt. Es gibt also
niemanden, der im Kontakt über anderen steht. In dem zentralen Gebot aus dem
neuen Testament Liebe deinen Nächsten wie dich selbst wird die Berührung
als Herzensberührung unter Gleichberechtigten dargestellt. Keine Maschine wird
je dazu fähig sein.
Ein vielfältiger Kontakt, emotional, mental, in Berührung auf körperlicher und
energetischer Ebene im Bewusstsein von Gleichrangigkeit nährt uns selbst ebenso
wie die Berührten.
Die gesamte spirituelle Praxis ist eine Sache der Beziehungen:
der Beziehung zu uns selbst, der Beziehungen zu anderen,
der Beziehung zu den Situationen des Lebens.
Jack Kornfield
Diverse Forscher beschreiben, dass Menschen, welche von den Medizinern bereits als unheilbar abgeschrieben wurden, durch einen tiefen Kontakt mit sich selbst wundersame Heilungen erfuhren.
Der Mensch ist nicht nur Organismus… sondern auch Geist,
dessen Kraft, wenn man sie weise einsetzt,
den Körper reparieren kann, wenn er schwach wird.
Maurice Daubard
Indem wir unseren Fokus bewusst darauf richten, was uns zutiefst am Herzen liegt, entziehen wir den krankmachenden Strukturen die Energie und erschaffen eine lebenswerte Wirklichkeit für uns und andere. Patrick Daubart drückt das wunderbar aus: "Es geht darum eine Lebensweise zu wählen, welche eine Suche nach Weisheit ist, dem eigenen Leben einen Sinn gibt, in dem alle Düfte wahrgenommen werden, die Poesie des Lebens erfasst wird, in dem wir uns für uns selbst und andere öffnen und verfügbar machen, also ganz einfach ein erfülltes Leben zu führen."
Wo geht es lang? Welchen Weg wählen wir, um eine Welt hinter uns zu lassen,
die von Zerstörung zu Zerstörung taumelt?
Wie kann es gelingen, aus dem Gedankengefängnis auszusteigen, in das wir uns vor langer Zeit haben sperren
lassen?
Der Weg, der hier vorgeschlagen wird, ist kein leichter. Er ist kein bequemer Boulevard, auf dem die
Prinzessin zum Ball schreitet, keine gemütliche Sonntagspromenade, sondern ein schmaler Grat, so scharf
zuweilen wie Messers Schneide.
Wer auf diesem Weg das Gleichgewicht halten will, muss in seine Mitte finden.
Hierfür sind echte Helden gefragt, Menschen, die sich ihre Souveränität nicht absprechen lassen und bereit
sind, das Zepter ihres eigenen inneren Reiches in die Hand zu nehmen.
Kerstin Chavent
Mehr dazu in meinem Artikel Geistige Klarheit und Meditation als Weg aus dem Gefängnis des Stresses ➚.
Soziale Vernetzung ist überlebenswichtig
Der Psychiater Lewis Mehl-Madrona, welcher aus einem Lakota Hintergrund stammt, sagt zum Thema Krankheit: In der Lakota-Kultur würde die Gemeinschaft zu einem Kranken sagen "Hab Dank. Deine Krankheit widerspiegelt eine gewisse Dysfunktionalität in unserer Gemeinschaft, weil wir nicht voneinander getrennt sind. Dein Körper ist nicht getrennt von deinem Geist, und dein Geist ist nicht getrennt von unserem Geist. Wir co-kreieren uns gegenseitig. So wird deine Heilung auch unsere Heilung sein. Wie können wir dich unterstützen?"
Jenseits aller Technik sind es die Beziehungen, welche heilen.
Lewis Mehl-Madrona
Die moderne Physik und systemische Behandlungsansätze haben diese Sicht längst bestätigt. In vielen anderen Therapieformen, insbesondere in der westlichen Medizin, ist diese Erkenntnis leider noch kaum angekommen.
Menschen brauchen Gemeinschaft, Kontakt, Mitgefühl und Sicherheit.
Das ermöglicht ihnen, ihre Traumata zu überwinden.
Gabor Maté
Die Wunde, sich nicht liebenswert, nicht würdig, nicht wertvoll und unwichtig zu fühlen, ist
leider weitverbreitet. Sie zeigt einen Kontaktverlust zur eigenen Essenz auf,
welche durch nicht integrierbare Erfahrungen ausgelöst wurden.
Indem ein Mensch sich in einer warmherzigen Umgebung wieder mit sich selbst verbindet, sich
selbst vertraut und sich als individuelle Persönlichkeit offenbart, kann diese
Wunde heilen.
Die Herausforderungen des Lebens sind nicht dazu da, dich zu lähmen.
Sie sollen dir helfen zu entdecken, wer du bist.
Bernice Reagon
Kontakt bedeutet darum auch, von eigenen alten Mustern und Überzeugungen loszulassen und im
Kontakt mit neuen, hilfreicheren Mustern weiterzugehen.
Daraus ergibt sich, dass Heilung auch im Zusammenhang mit ganz sein steht. Ganz sein oder mit
allem in Beziehung zu sein führt zu Integration der unterschiedlichen Anteile,
was dann zu wirklicher Kraft führt. Wollen wir als Gemeinschaft freud- und kraftvoll
sein, ist eine integrative Lebensweise unumgänglich.
Schritte auf das Ganz-sein hin – Heilung ist möglich
Heilung ist kein Selbstoptimierungsprogramm. Sie dient dazu, wieder kraftvoll am Leben teilnehmen zu können und zum Leben der Gemeinschaft beitragen zu können.
Nicht alles, mit dem man sich auseinandersetzt, kann geändert werden,
aber nichts kann geändert werden, bevor man sich damit auseinandersetzt.
James Baldwin
Die Vorstellung, dass wir ein schmerzloses Dasein erlangen könnten, ist eine Illusion. Schmerz ist der polare Gegensatz von Wohlbefinden und damit zwingend ein Teil des Lebens. Gesundheit ist deshalb nicht erst vorhanden, wenn das Leben perfekt ist.
Du brauchst das Werk nicht zu vollenden,
aber du darfst nie aufhören, es zu versuchen.
Rabbinischer Spruch
Der narzisstische Hedonismus, welcher grenzenlose Lustbefriedigung für den
einzelnen verspricht und heutzutage häufig anzutreffen ist, zeugt von einer
gestörten Gemeinschaft. Die kranke Vorstellung, dass Freude nur durch Reichtum
und Konsum möglich ist, zerstört unsere Gesellschaft und wird von einem sinnentleerten
Materialismus gefördert.
Sich bewusst für ein Miteinander zu entscheiden, welches allen Raum zur Entwicklung gibt,
destruktive Verhaltensweisen jedoch aussen vorhält, führt zu einer Ganzheit,
welche uns allen Gesundheit in einem erweiterten Sinn ermöglichen kann.
Wenn wir jemals Frieden wollen,
müssen wir auch den Schmerz der anderen wahrnehmen.
Gabor Maté
Mitgefühl mit dem eigenen und dem fremden Leiden verhindert Gewaltexzesse und ist
Vorbedingung für einen Kontakt mit offenem Herzen. Auch wenn wir alle
Verletzungen erfahren haben, sind wir fähig zu einem warmherzigen Umgang mit
unseren Mitmenschen und uns selbst.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass jeder einzelne in jedem Moment vollkommen
verantwortlich ist für jeden Gedanken und jede Tat. So bauen wir eine
Gemeinschaft, welche allen Menschen guten Willens Raum zur Entwicklung gibt.
Der spirituelle Aspekt
Viele Menschen glauben, dass sie getrennt von allem anderen seien. Diese Vorstellung, welche sich auch in der newtonschen Physik widerspiegelt, ist die eigentliche Ursache für die um sich greifende Zerstörung, welche Michael Ende in seinem Buch Die unendliche Geschichte als grauenvolle Krankheit beschreibt. Solche Menschen fühlen sich abgeschnitten und sind ein Schatten ihrer eigentlichen Möglichkeiten. Ihre Entscheidungen und Handlungen entbehren der Ganzheitlichkeit und führen zu Zerstörung.
Zur Zeit Buddhas galt Indra in den vedischen Religionen als der Herrscher aller
Götter. Tu-shun (557-640), ein buddhistischer Priester, sah "Indras
Netz" – äquivalent mit dem Universum – als unendliches Netz. Wo immer die
Fäden sich kreuzen, befindet sich jeweils eine helle, leuchtende Perle, in der
sich all die anderen Perlen spiegeln und die wiederum von ihnen gespiegelt
wird. Jede Perle ist ein individuelles Bewusstsein, sei es von einem Menschen,
einem Tier, einer Pflanze, einer Zelle oder einem Atom. So verursacht eine
Veränderung in einer Perle, wie klein sie auch sein mag, eine Veränderung in
all den anderen Perlen. Dabei ist jede einzeln wie auch auf das Ganze reagierend.
Dies ist die frühe Beschreibung einer interdependenten Wirklichkeit, welche
übereinstimmt mit der Sichtweise der modernen Physik.
Zutiefst
verstehen, dass alles mit allem in Verbindung steht, widerspricht unserer
optischen Wahrnehmung und der materialistischen Prägung durch die vergangenen
Jahrhunderte.
Das daraus entstehende Leiden, welches wir grundlegend als Gefühl des Getrenntseins erleben, würde jedoch
sofort enden, wenn wir uns als eine
dieser unersetzlichen und mit allem verbundenen Perlen erfahren und
entsprechend verhalten würden. Wie könnten wir dann jemanden benachteiligen, zu Schaden kommen lassen oder als
gefährlichen Feind behandeln? Ganz im Gegenteil würde diese integrale Sicht eine tiefe Liebe zu allem unser
Sein und unsere Handlungen durchfluten.